Ausdruck und Improvisation

Du bist unsagbar wütend, verletzt, enttäuscht, ratlos. Einige laufen drei Mal um den Block, andere boxen auf Gegenstände ein. Du nicht. Du hast dein eigenes Ventil, durch das du den Druck ablassen kannst, der sich in deinem Inneren angestaut hat. Die Worte kommen dir wieder in den Sinn:

"Sie wollte dir immer zeigen, dass du durch das Geigenspiel Druck ablassen kannst. Dass du dich damit ausdrückst, wenn es dir schlecht geht. Dass du deinen Weg in der Musik findest und so deine Wut äußerst, in den schwierigen Jahren der Jugend."

Dass sie das wollte, habe ich wohl nie wirklich mitbekommen. Aber sie hat mir etwas mit auf den Weg gegeben. Durchhaltevermögen, Kraft, die Fähigkeit, etwas zu beherrschen. Erfolg. Preise bei Wettbewerben. Und die Fähigkeit, meine Gefühle in der Musik wiederzufinden. Mich auf einem Musikinstrument auszudrücken, meine Stimmung in Töne umzuwandeln. 


Und manchmal frag ich mich, wer sie schon alles berührt hat. Wer ihr Töne entlockt hat. Beide Weltkriege hat sie überlebt und noch so einiges mehr. Mindestens tausend Kratzer und Löcher sind in ihrem Holz. Gerade das macht sie aus. 

"Die Geige ist um 1860 in Frankreich gebaut worden. Mehr weiß man nicht."

Zu gern wüsste ich mehr. Einfach mehr, über ihre Geschichte, über die Menschen, die sie schon gespielt haben und einmal spielen werden. 150 Jahre 'Leben' müssen doch irgendwelche Geschichten bereit haben. Zu gern würde ich sie treffen, die Leute, die ihr Holz schon berührt haben und auf ihr gespielt haben. War eine berühmte Person unter ihnen? Waren es Kinder, Jugendliche, Erwachsene, ältere Menschen? 

Die Vergangenheit gibt oft Rätsel auf. Wenn wir das, was wir erleben, nicht niederschreiben, geht sie für immer verloren. 

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