Schauspieler

Ich bin ein Schauspieler. 

Ich kann mich verstellen. Wie ich will. Muss nicht lachen, über Witze. Bin sarkastisch, ironisch. Geht es mir schlecht, sieht man es mir nicht an. Geht es mir gut, merkt man es mir nicht an. Ich kann sein wie ich will. Ich kann mich verstellen, wie ich will. Keiner merkt es, nur ich weiß es.

Ein schönes Spiel. Leute an der Nase herumzuführen. Sie etwas glauben zu lassen, was nicht stimmt. Falsche Informationen verbreiten. Ein schönes Spiel. Ich bin gerne Schauspieler. Und es hat lange gedauert, sich das anzutrainieren. Du hast eine verdammt gute Selbstbeherrschung, wurde mir gesagt. Und ja, das stimmt. Und ich habe ewig gebraucht. Gefühlte Jahre. Ist der Witz noch so gut, muss ich nicht lachen. Wenn ich nicht will. 

Selbstkontrolle. Genau das ist es. Ich habe Kontrolle über mich selbst. Unlimitiert. Ich kann mich verändern, wie ich will. Allein ich selbst habe die Macht, aus meinem Leben das zu machen, was ich will. Ich kann mich zu dem Menschen machen, der ich sein will. Ich kann freundlich sein. Nett, hilfsbereit. Ich könnte im Gegenzug aber auch unfreundlich sein. Niemandem helfen. Die Leute ignorieren und einfach machen lassen. Nicht danke sagen. Nicht bitte. Nicht Hallo und nicht Tschüss.

Ich kann jeden Tag wieder für mich selbst entscheiden, wie ich sein möchte. Lächeln? Böse schauen? Arrogant? Ich kann alles. Und es wechselt im Sekundentakt. 

Das nett und freundlich sein, das Lächeln. Das ist automatisiert. Egal wie scheiße mein Gegenüber ist, egal ob derjenige mich blöd anmacht. Ich habe meine Fassade. Die bröckelt nicht. Nie. Immer freundlich, kompetent. Lächeln. Lächeln. Nicken. Zustimmen. Lächeln. Lächeln. Ja, natürlich. Das stimmt. 

Ich bin ein Schauspieler. Ich kann andere im Glauben lassen, sie wüssten etwas über mich. Sie verarschen und dabei ganz ernst sein. Sodass sie es mir abkaufen. Sodass sie denken, ich erzähle die Wahrheit. Sodass sie zweifeln. An sich selbst. Führt sie mich an der Nase herum? Meint sie das gerade ernst? Sie wissen es nicht. Weil ich so gut schauspielern kann. Und sie kaufen es mir ab. Weil ich ernst bin. Einhundert Prozent ernst bin. Ich muss nicht lachen. Nicht grinsen. Es gibt nur eine Person mit der ich ungehemmt lachen kann. Das tue ich mit niemand sonst. Niemand sonst bringt mich so zum lachen wie diese eine Person. Ungehemmt. 
Bei anderen achte ich darauf. Ob ich lache. Wie ich lache. Ob es überhaupt angebracht ist. War es ein Witz? Wie ist der andere? Sollte ich jetzt lächeln? Sollte ich jetzt lachen? Sollte ich zustimmen?

Das sind die Momente, in denen man unehrlich ist. Wenn man eine völlig andere Meinung hat. Ich stimme zu. Ja, das ist schon in Ordnung. Nein, ist es nicht. Sagt die Stimme in meinem Kopf. Aber ich bin diplomatisch. Möchte keine Grundsatzdiskussion entfachen. Möchte mich nicht komplett abgrenzen.

Ich bin niemals unehrlich. Nur diplomatisch. Ich finde das nicht so schön. Sage ich. Anstatt, Ich hasse das. Das sieht schrecklich aus. 


Ich bin ein Mensch der Extreme. Entweder ich liebe etwas, oder ich hasse es. Momentan ist da nur Hass. Das ist der Grund, warum ich mehr Positives in der Welt sehen möchte. Mehr Positives in meinem Leben sehen möchte.

Der Autofahrer vor mir regt mich auf. Der Autofahrer hinter mir regt mich auf. Warum fährt der so nah auf? Das hasse ich. Und wenn ich hassen sage, dann meine ich hassen. Purer Hass. Ich bin ein Hassmensch. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich nichts empfinde, außer Hass. Mein Blick heute im Supermarkt. Genervt. Meine Grundeinstellung. Genervt. Arrogant. Aber ich habe gelächelt, als die Kassiererin mir mein Baguette gereicht hat. Danke! Vielen Dank! Danke ebenso! Und für einen ganz kurzen Moment war ich fröhlich. Habe gelächelt. Dann ist mir eingefallen, dass das alles automatisiert ist. Und Fassade. Alles nur Fassade. Das geht auf Knopfdruck. Das hab ich mir antrainiert. 

Ich bin ein Hassmensch. Ein richtiger Hassmensch. Ich hasse hier und ich hasse da. Ich hasse dich und ich hasse euch. Es gibt überhaupt nichts, worüber ich mich in diesem Leben freue. Irgendwie schade. Und wenn ich mich freue, ist es nur von kurzer Dauer. Die Freude hält nicht an. Ich möchte mehr Positives sehen. So sehr. Aber es geht nicht. Da ist doch gar nichts Positives, fällt mir gerade auf. Ich möchte etwas von der Welt sehen. Ich kann nicht. Alleine kann ich nicht. Niemand kommt mit. 

Alle gehen und lassen mich allein zurück.

Ich habe den Zug verpasst. Die Abfahrt. Bin zu spät gekommen. Zu spät aufgestanden. Zu spät angefangen zu laufen. Hab getrödelt. Und jetzt ist es zu spät. Ich frage mich, wofür habe ich frei? Wofür habe ich freie Zeit? Damit ich alleine herumsitzen und philosophieren kann. Mich alleine fühlen kann. Damit ich nichts tun kann. Mir ist langweilig. Mir ist langweilig und ich sitze herum und fühle mich alleine. Und dann frage ich mich, was habe ich verpasst? Alles. Ich habe alles verpasst. 
Ich würde so gerne weggehen. Keiner kommt mit. Es kommt keiner mit. Und wenn ich weggehe, dann nur kurz. Meine Freunde wollen nicht länger. Ich bin anders. Ich würde gern länger. Aber niemand ist meiner Meinung. Niemand kommt mit. Und ich lese, was andere für ein tolles Leben haben. Das Leben, das ich gerne hätte. Ich habe es nicht. Sie haben es. Sie haben Freunde. Sie gehen weg. Sie haben Spaß. Den Spaß, den ich so gern hätte, würde es jemand zulassen. Würde jemand zulassen, dass ich Spaß habe. Würde sich jemand meiner annehmen und sich für mich interessieren. Aber es tut keiner. 

Das Leben ist eine einzige Verarsche. Ich lese die Chronik einer Bekannten. Eines Bekannten. Eines Freundes. Einer Freundin. Hier: Feiern mit xyz. Dort: Party mit xyz. Und ich? Sollte ich auch etwas posten? Hier: Allein daheim. Mimi allein zu Haus. Nicht mal das. Mein Leben ist ein Scherbenhaufen. 

Was ist Glück? Wie definiert sich Glück? Wenn man Familie hat. Wenn man Freunde hat. Wenn man Spaß hat. Am Leben. Wenn man man selbst sein kann. Ich habe keines dieser Dinge. Nichts. Nur viel Zeit. Sehr viel Zeit. Alleine. Und da fragt noch einer, warum ich mich schlecht fühle. Ich habe Urlaub. Ich habe viel Zeit. Ich könnte in der Zeit so viel unternehmen. So viel. Aber ich kann nicht. Es kommt keiner mit. Mich möchte keiner bei meiner Reise begleiten.
Und dann gibt es einen Lichtblick. Ich freue mich. Riesig. Riesig. Ich freue mich. Total. Das wird bestimmt schön. Ich freue mich. Ich kann es nicht oft genug sagen. Ich habe mich wirklich gefreut. Aber das wäre nicht mein Leben, wenn ich nicht wieder enttäuscht worden wäre. Schon wieder. Als wenn ein Mal nicht genug wäre. Ein wenig fühlt es sich an, als hätte man mir das Herz herausgerissen. Aber ich habe doch gar kein Herz. Ich kann doch gar nicht fühlen. Ich habe mich gefreut. Einen neuen Freund gefunden zu haben. Ein Satz und es ist vorbei. Ein falscher Satz und ich bin wieder allein. Auf immer und ewig. Und ich bin wieder allein. Und ich frage mich, wie lange ich das noch aushalten soll. 

Heute morgen war ich joggen. Ich habe den Zug gesehen. Schon aus der Ferne. Ich wusste genau, ich kann mich entscheiden. Man hat jede Sekunde die freie Wahl. Was tue ich? Es ist verrückt. So einfach. Es ist verrückt, dass man alles so einfach ändern kann. Menschen Schmerz verursachen. Einfach aussteigen. Nächste Station ist Endstation. Ich sage immer, der Tod ist die einzige Möglichkeit, hier herauszukommen. Deshalb sollten wir keine Angst vor dem Sterben haben.


Anscheinend habe ich es nicht anders verdient. Enttäuschung. Das habe ich jetzt davon. Ich hätte nicht ich selbst sein sollen. Ich hätte mich einfach verstellen sollen.

Ich bin ein Schauspieler. 

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